Gegen die Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND)

Ein neues Gesetz erlaubt dem BND, ausländische Journalist*innen auszuspionieren. Das zerstört das Vertrauen zwischen Journalist*innen und ihren Quellen gerade dort, wo es investigativer Journalismus besonders schwer hat. Deshalb klagen mehrere prominente internationale Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das BND-Gesetz. Hier finden Sie die Verfassungsbeschwerde: https://freiheitsrechte.org/link/bndg-vb

Ein Bündnis aus Journalistenverbänden und Nichtregierungsorganisationen unterstützt sie dabei.

Auf einen Blick: Hintergrundinformationen zur Klage

1. Gegen welches Gesetz richtet sich die Klage?

Anlass der Klage sind die umfassenden neuen Überwachungsbefugnisse, die der Bundesnachrichtendienst durch die Novelle des BND-Gesetzes vom 23. Dezember 2016 („Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“) erhält. Der Bundestag hatte es im Oktober 2016 beschlossen. Seit dem 1. Januar 2017 ist es in Kraft.

2. Welche neuen Befugnisse hat der BND?

Das Gesetz ermöglicht es, Kommunikation anlasslos zu erfassen und alle anfallenden Inhalts- und Verkehrsdaten zu erheben und zu verarbeiten. Kurz gesagt: Jede E-Mail, SMS und jedes Telefonat von im Ausland lebenden Ausländern darf verarbeitet werden. Die Voraussetzungen für die Überwachung sind viel zu vage und weit gefasst, eine effektive Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen gibt es nicht. Anders als bei rein inländischen Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung (z.B. Überwachung von Verdächtigen im Rahmen von organisierter Kriminalität o.ä.), braucht der BND für eine solche strategische Ausland-Ausland-Überwachung keinen konkreten Verdacht und auch keinen richterlichen Beschluss. So kann eine Überwachung bereits zu dem Zweck angeordnet werden, „Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ zu gewinnen.

3. Was ist „strategische“ Überwachung

„Strategische“ Überwachung bedeutet eine Überwachung ohne Anlass oder Verdacht. Die einzige deutsche Behörde, die das darf, ist der Bundesnachrichtendienst. Diese sogenannte „strategische Fernmeldeaufklärung“ erfasst zunächst ganze Datenleitungen, ehe in den abgegriffenen Daten mittels bestimmter Suchbegriffe nach Informationen gesucht wird, die der BND als relevant für seine Arbeit einstuft. Solche Suchbegriffe, die auch Selektoren genannt werden, können zum Beispiel Worte oder auch E-Mail-Adressen und Telefonnummern sein.

4. Wen betrifft es?

Das Gesetz darf nicht gezielt zur Überwachung von Deutschen oder EU-Institutionen eingesetzt werden. Ansonsten schließt es jedoch keine Personengruppe aus. Im Prinzip kann also jeder betroffen sein, der im Ausland kommuniziert, darunter auch sehr sensible Personengruppen wie Anwält*innen oder Journalist*innen und ihre Quellen.

5. Warum wehren sich Ausländer*innen vor einem deutschen Gericht?

Die einzige Möglichkeit, den ausufernden Befugnissen des BND jetzt noch Einhalt zu gebieten, ist eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz. Die beteiligten Organisationen haben dazu die Initiative ergriffen und unterstützen die Kläger*innen durch die Einreichung der Verfassungsbeschwerde und die Übernahme der Prozesskosten.

Die Kläger*innen sind hauptsächlich investigativ arbeitende Journalist*innen aus mehreren Ländern, darunter zahlreiche namhafte Journalist*innen wie die Gewinnerin des diesjährigen Alternativen Nobelpreises Khadija Ismayilova (Aserbaidschan), Raúl Olmos (Mexiko), Blaž Zgaga (Slowenien) und Richard Norton-Taylor (Großbritannien). Außerdem gehören der in Guatemala tätige Menschenrechtsanwalt Michael Mörth aus Deutschland sowie die französische Menschenrechtsorganisation Reporters Sans Frontières zu den Kläger*innen. Durch ihre Arbeit ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Kommunikation „interessant“ für den BND ist – und damit ihre Kommunikation mit Kolleg*innen und Quellen betroffen ist, deren Informationen der BND dann mit internationalen Diensten austauschen könnte. Das ist eine direkte Bedrohung für die Kläger*innen, ihre Informant*innen und somit ein Risiko für die Grund- und Menschenrechte weltweit.

Für einen ausreichenden Schutz der Journalist*innen fehlte bei der Erstellung des Gesetzes aber offenbar der politische Wille – trotz zahlreicher Interventionen der Zivilgesellschaft. Es bleibt nur noch der juristische Weg.

6. Wenn es vor allem um Ausländer geht, betrifft das überhaupt Journalist*innen in Deutschland?

Ja! Die deutsche Medienlandschaft berichtet glücklicherweise viel über das Ausland. Sie hängt dafür aber auch für Recherchen von ihren Kolleg*innen vor Ort ab – gerade wenn es um sensible Themen geht, für die man Zugang zu besonderen Quellen braucht. Derzeit entstehen auch vermehrt internationale Recherchekooperationen, bei denen Journalist*innen auf der ganzen Welt an einem Thema arbeiten (z.B. Panama Papers). Hier könnte der BND also „durch die Hintertür“ Informationen abgreifen, was ihm in Deutschland nicht erlaubt wäre. Außerdem arbeiten in Auslandsredaktionen deutscher Medien häufig lokale Mitarbeiter*innen, die ebenfalls sensible Informationen für deutsche Medien verarbeiten und geschützt werden müssen.

7. Warum vor dem Bundesverfassungsgericht?

Die Klage (juristisch korrekter Begriff: Verfassungsbeschwerde) ist der einzige Weg, um ein Gesetz direkt anzugreifen. Das ist im Falle des BND-Gesetzes notwendig, weil die Überwachung des BND naturgemäß im Geheimen erfolgt. Betroffene werden also im Normalfall nicht davon erfahren und damit auch nicht die Möglichkeit haben, gegen eine konkrete Überwachungsmaßnahme vorzugehen.

8. Wie sind die Erfolgsaussichten?

Statistisch sind die Erfolgsaussichten von Verfassungsbeschwerden zwar gering. Gleichwohl sprechen viele gute Gründe für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelungen. Das Bündnis aus sechs Nicht-Regierungsorganisationen hat sieben Kläger*innen für ihr Verfahren gewonnen, die die fatalen Folgen des Gesetzes besonders eindrucksvoll darlegen können. Die Beschwerdeschrift hat einer der führenden Hochschullehrer in Fragen staatlicher Überwachung verfasst. Daher rechnen wir uns insgesamt gute Chancen auf einen Erfolg in Karlsruhe aus.

9. Was würde im Erfolgsfall passieren?

Ziel der Klage ist es, die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes feststellen zu lassen. Damit soll der Gesetzgeber gezwungen werden, es zu überarbeiten und insbesondere auch Journalist*innen besser zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedene Möglichkeiten, mit einem verfassungswidrigen Gesetz umzugehen. Im besten Fall verwirft das Gericht das Gesetz in seiner aktuellen Fassung und macht dem Gesetzgeber Vorgaben für eine verfassungskonforme Neugestaltung. Darüber hinaus wäre es ein bedeutender strategischer Erfolg, der letztlich auch das Vertrauen in aktive und unabhängige Geheimdienstkontrolle stärkt.

10. Gab es schon andere Klagen gegen BND-Überwachung??

Ja. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat Ende 2016 eine Verfassungsbeschwerde gegen die Überwachung des BND nach dem sogenannten G 10 erhoben, einer Schwesterregelung zur nun angegriffenen Auslands-Auslands-Überwachung. 2015 reichte außerdem die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein, weil sie sich von unrechtmäßiger Überwachung durch den BND betroffen sah. Einem Teil der Klage gaben die Richter Ende 2017 statt, ein anderer Teil ist derzeit nach Abweisungen vom Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig.